Die Konfrontation mit dem Hier und Jetzt

Freitag, 7. März 2014


Bühne: "Der letzte Vorhang" mit Suzanne von Borsody und Guntbert Warns im Stadttheater zeigt die Höhen und Tiefen des Schauspieler-Lebens

Rick ist Alkoholiker. Lies langweilt sich in ihrer Ehe mit einem gut situierten Anderen. Nach Jahren treffen sich beide Schauspieler wieder und schmoren erneut in ihrer alten Gefühlshölle. Typische Klischee-Konstellation also im Stück »Der letzte Vorhang« von Maria Goos. Interessant ist die Geschichte trotzdem. Suzanne von Borsody und Guntbert Warns spielen sie sogar teuflisch gut am Mittwochabend im Stadttheater.
Foto: Petra Reith
Einige Zuschauer im nahezu vollen Haus werfen zur Pause freilich das Handtuch. Offenbar sind sie genervt, dass die aus dem Fernsehen bestens bekannten Schauspieler diesmal nicht für leicht verdauliche Kost stehen. Statt dessen wechseln Warns und von Borsody virtuos die Rollen, springen mühelos zwischen verschiedenen Handlungsebenen und -zeiten hin und her und breiten genüsslich die zunächst heillos wirren Fäden des Psychodramas aus, das die niederländische Autorin Goos so listig gestrickt hat.
Parallelen zu "Virginia Woolf"
Die Inszenierung des Renaissance Theaters Berlin unter der Regie von Antoine Uitdehaag stellt auf schmuckloser Bühne - ein abgewetztes Ledersofa, ein Beistelltisch mit Schnapsflaschen und ein Kleiderständer genügen - Parallelen her zu den Machtkämpfen der Hollywoodstars Elizabeth Taylor und Richard Burton und deren Kinoklassiker »Wer hat Angst vor Virgina Woolf?« nach Edward Albee.
»Die Leute halten einfach nichts mehr aus«, sagt Rick zwischen zwei tiefen Zügen aus dem Whiskyglas. Er spricht als Schauspieler, der etwas bewegen will mit seiner Kunst. Er möchte die Zuschauer mit dem Bewusstsein aus dem Theater entlassen, dass sie ein neues Leben beginnen müssen. Sagt er hochtrabend und weigert sich kurz danach, wenigstens bis zum Ende der Proben mit Lies Medikamente gegen seine Alkoholsucht zu nehmen.
Später, als die Premiere ein rauschender Erfolg gewesen ist, bescheinigt Rick Lies mit ehrlicher Bewunderung die seltene Gabe, die »Kinderherzen der Menschen« zu erreichen. Beide haben inzwischen ihr Innerstes nach außen gekehrt, enthemmt und umnebelt vom Alkohol, und man weiß alles über sie.
Man sieht Richard in seiner maßlosen Selbstüberschätzung, aber auch in seinem Mut, der vorgeblich vernünftigen Welt verrückte Träume und ein Künstlerleben abseits des Mainstreams entgegenzusetzen.
Unter all den komplexen Schichten des Stücks scheint das die eigentliche Aussage zu sein: Es geht weniger um die - ohnehin meist schmerzhafte bis hoffnungslose - Liebe zwischen zwei Menschen als um die Liebe zum Theater.
Warns gibt Rick nicht als kompletten Kotzbrocken. Zwar lässt sich nachvollziehen, dass der Bühnen-Egomane zwei Kolleginnen vergrault hat und nun die Inszenierung des Stücks im Stück ohne schnelle Hilfe von Lies zu platzen droht. Doch andererseits entfaltet Warns entwaffnenden Witz und bissigen Charme, zum Beispiel, als er - herrlich doppelbödig - Richard den Ehemann von Lies als blasierten Kunstsammler und aufgeblasenen Villenbesitzer in Südfrankreich persiflieren lässt.
Borsody überzeugt in ihrer Zerrissenheit zwischen der im Verlauf der Handlung immer stärker wieder aufflammenden Liebe zu ihrem aufregenden einstigen Beruf - die damals auch die Liebe zum jungen Kollegen einschloss - und der Wahrung ihrer Selbstbestimmung als Frau. In dieser wird sie nach wie vor von Rick unterminiert. Wie herablassend äußert der sich über Schauspielerinnen als »Huren mit gutem Gedächtnis«. Sein anzügliches »Ich errege dich«, kontert sie mit einem schnippischen »Du regst mich auf - das ist etwas anderes.«
Das Stammlokal als »Vorhölle«
Lies taucht dennoch begeistert mit ein in die Vergangenheit, als Rick sie an die »Vorhölle« in Form von Harrys und Annies Kneipe, ihrem einstigen Stammlokal, erinnert. Borsody spielt diese Lies mit vor Aufregung roten Wangen und Jungmädchen-Bewegungen. Dann die ernüchternde Konfrontation mit dem Hier und Jetzt: die klare Sicht auf das, was Lies mit Rick erwartet.
Borsody verleiht der Schlussszene eine Wucht, die nur vom Gedanken erträglich gemacht wird, dass es sich hier wiederum nur um ein Spiel im Spiel handelt: dass es nur Rick ist, der nun den Ehemann Walter spielt. Dass es nur eine angedachte Möglichkeit von vielen ist, dass Lies zurück in die sicheren Arme des Langweilers flüchtet und sich endgültig von ihrer Liebe zum Theater verabschiedet. Melanie Pollinger

Quelle: main-netz