"Der letzte Vorhang" - ein Zwei-Personen-Stück der Sonderklasse im Stadttheater

Montag, 17. Februar 2014

Fesselndes Spiel um Identitäten
VON JOCHEN LEWIN
Minden (jol). Ein sogar bis zu den Stehplätzen gefülltes Stadttheater ließ erahnen, dass bekannte Schauspieler zu sehen waren: Suzanne von Borsody und Guntbert Warns fesselten mit ihrer Darstellung zweier Schauspieler, die es nach Jahren noch einmal (auf der Bühne) zusammen versuchen.

Suzanne von Borsody und Guntbert Warns faszinieren
in Rollen, die Rollen spielen. | Foto: Jochen Lewin
Auch wenn große Namen kein Garant für großes Theater sind, boten von Borsody und Warns intensives Theater der Sonderklasse. Die beiden Theatergrößen Lies(beth) und Richard zieht es nach Jahrzehnten wieder gemeinsam auf die Bühne, die Lies vor langer Zeit zugunsten eines ruhigen, geregelten Lebens als Ehefrau eines reichen Arztes verlassen hat. Denn Richard ist kurz vor der Premiere seine jüngere, aber unbegabte Bühnenpartnerin abgesprungen.

Ob Lies ihn bzw. seine Produktion rettet, weil sie es als Einzige mit dem dominanten, egozentrischen Richard aushält, oder ob er sie davor rettet, in ihrem öden, unerfüllten Ehefrauendasein zu versauern, bleibt bis zum Schluss umstritten.

So ein Stück bietet zwei gestandenen Schauspielern zweifellos eine ideale "Spielwiese". Die beiden räsonieren über die Bedeutung dieses in Vielem besonderen Berufes. Ob die gemeinsamen Bühnenjahre "eine schöne Zeit" oder "ein ganzes Leben" waren, zeigt ihre Einstellung: Richard hält Schauspieler ganz sendungsbewusst für die "emotionale Elite", "die Wahrheit verkünden, verpackt in Illusionen" - Lies dagegen eher für "dressierte Affen".

Dass die Wahrheit in diesem Fall nicht dazwischen, sondern in beidem zugleich liegt, entlarvt das permanente (Macht-)Spiel unterhaltsam, witzig und schonungslos.

Das Stück lässt aber auch Spielraum, das Leben von Lies und Richard immer wieder in kleinen Szenen und meist karikierenden Rollen nachzuspielen. Das ist manchmal bös-ironisches lästernd, dann aber plötzlich auch brutal entwürdigend, wenn beispielsweise Richard Lies´ Ehepartner - und damit ihr derzeitiges Leben - persiflierend bloßstellt.

Realität wird immer mehr zur Illusion

Indem die Figuren ihre Realität nachspielen, geschieht noch mehr: Ihre Wirklichkeit wird zunehmend zur Illusion, ihre Person immer mehr zur Rolle. Statt zweier Schauspielgrößen stehen dort zwei Figuren, deren Persönlichkeiten - borderline-typisch - instabil und inkohärent erscheinen.

Dieses vielschichtige und für den Zuschauer immer wieder überraschende Spiel mit Rolle und "Realität" gestalten von Borsody und Warns nuancen- und variantenreich. Dieser Kampf zweier starker, aber verletzbarer Persönlichkeiten ist wirkliche Schauspielkunst, keine Frage. Sie wird unterstützt von einer ideenreichen Regie (Antoine Uitdehaag), die immer wieder mit vielen (symbolhaften) Details aufwartet, die eben nötig sind, um ein Zwei-Personen-Stück über fast zwei Stunden spannend und fesselnd zu halten.

Dass lediglich die obligate Schlusstragik, die Läuterung der Figuren, theatralisch und wenig nahbar ausfällt, ist schade, lässt sich aber als Zeichen dafür interpretieren, dass Lies und Richard eben auch in solchen Situationen nicht imstande sind, ihre Rollen zu verlassen und sie selbst zu sein.

Dann bleibt es zweifellos der große Theaterabend, der vollauf zurecht lang anhaltenden Applaus bekommt.

Quelle: Mindener Tageblatt