Die Liebe und der Suff ... "Der letzte Vorhang" zerrt gekonnt an den Nerven

Donnerstag, 20. Februar 2014

FULDA - Variationen zum altbekannten und immer neuen Thema "Die Liebe und der Suff reiben den Menschen uff" durfte das Publikum gestern Abend im bis auf den letzten Platz gefüllten Fuldaer Schlosstheater erleben. Aber langweilig war es nicht eine Sekunde. Das lag zuallererst an zwei Vollblutschauspielern, die sich glücklicherweise auf Augenhöhe gegenseitig mit Verve an die Wand spielen: Suzanne von Borsody und Guntbert Warns verkörpern in der deutschsprachigen Erstaufführung des 2000 in Amsterdam uraufgeführten Stücks nicht nur ein durch alte Leidenschaft aneinander gekettetes Paar, sondern gleich noch ein halbes Dutzend weiterer Figuren einschließlich sich selbst in der Vergangenheit.

Der doppelte Jumpschnalp
Gelungen grauenhaft gleich der Einstieg: die erste Szene auf der karg möblierten Bühne zeigte eine jämmerliche Heulsuse sich auf dem Sofa windend mit unerträglichem Diskant ihren unwirschen Partner annölend - das Unbehagen über diese desaströse Darstellerin ließ die Zuschauer förmlich frösteln. "Ich dachte, wenn die so weiter macht, muss ich gehen, das halte ich nicht aus", fasste eine Zuschauerin das kollektive Entsetzen in Worte. Doch auf dem Gipfel der unerträglichen Litanei erlöste die abrupt folgende Wandlung: Suzanne von Borsody, zweifellos eine begabte und hoch talentierte Schauspielerin spielt hier Lies, eine ebensolche Darstellerin, die zum Vergnügen ihre grottenschlechte, völlig talentfreie Kollegin Jojanneke nachmacht - der doppelte Jumpschnalp schlechthin.

Dass der Plot von Maria Goos gleichzeitig genauso einfach wie kompliziert ist, hält den Spannungsbogen mühelos über zwei Stunden aufrecht. Manchmal ist es in den explosiven Dialogpausen so atemlos (und husten-)still, dass man die Lüftung im Theater rauschen hört – ein seltenes Phänomen.

Wie in eigentlich jedem Drama nach 1962, das die Crux von Paarbeziehungen thematisiert, schimmert zwangsläufig auch hier Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" durch - noch bewusst unterstrichen durch die Namen der Protagonisten Lies (Taylor) und Richard (Burton). Unsere beiden galten einst als als Dreamteam der Bühne und brillierten mit einem Beziehungsstück, das wiederum dem von Edward Albee nachempfunden zu sein scheint. Diese Bühnenliebe wurde zehn Jahre zuvor offenbar Knall auf Fall beendet - Lies hatte geheiratet und war zu ihrem begüterten Gynäkologen-Gatten nach Südfrankreich gezogen. Jetzt folgt sie einem verzweifelten Hilferuf Richards, der mit seinem Zynismus und Alkoholexzessen noch jede potentielle Bühnenpartnerin vertrieben hat. Noch ein letztes Mal wollen sie gemeinsam das Paar aus dem Erfolgsstück - und einen Teil ihrer Vergangenheit - wiederbeleben.

Der flotte Wechsel zwischen todernsten Philosophieexkursen und brüllkomischen Slapstick-Einlagen erfordert genau die Bühnenpräsenz und das Timing, die von Borsody und Warns zu den Könnern ihrer Zunft machen. Allein was alles im Dunkeln hinter der Sofalehne - und damit ausschließlich in der zum Blühen gebrachten Phantasie der Zuschauer stattfindet, spottet der Beschreibung. Der Hund haart, Richard erbricht sich, der "Muschidoktor" alias Lies' Gatte materialisiert sich aufs Beleidigendste. Lies ist immer noch die Frau, deren Lache Polizeipferde zum Durchgehen bringt, doch Richard kann an ihrer trügerisch-langweiligen Provence-Idylle herummäkeln, wie er will: sie ist erwachsen geworden - er wird es nie.

Es gibt nicht viele Stücke, die man in derselben Besetzung und Inszenierung nochmal sehen möchte, um wirklich jede Volte und Pointe mitzubekommen. Der letzte Vorhang gehört definitiv dazu.+++ Carla Ihle-Becker

Quelle: Osthessen-News